POETRY SLAM TEXTE UND VIDEOS VON 2013-2014

Frank Klötgen: Mein erstes Mahl mit Carmen

Mein erstes Mahl mit Carmen (gekürzte Slamversion)

Ich schneid' aus halbwegs gelung'nen Kalbsteaks
Ihr eine mundgerechte Portion,
Führ' mit der Gabel sie ihr zum Schnabel
Und schreite lustvoll zur Degustation.
Allein beim Kau'n ihr zuzuschau'n,
Ist der Profanverköstigung hier wert,
Denn höchst apart ist ihre Art,
Mit der sie Speise nebst Getränk verzehrt:
Ihr Bäckchen bebt – vom Biss belebt –
Derweil ihr Kiefer sich mal senkt, mal hebt,
Und Eleganz erfüllt den Tanz,
In dessen Aura schiere Anmut schwebt – bomm, bomm!

Oh Carmen – Erbarmen!
Mein Kopf kommt erst klar, wenn
Ihr zärtlich beknabbernd ein Rippchen beäst –
Dann serviettenbetätschelnd das Mündlein verhätschelnd
Gar feinspaltig schürzend die Lippchen entblößt ...
Ah, was mehr kann ein ruchloser Gaffer verlangen,
Als Zeuge zu sein bei dem Straffen der Wangen –
Deren Spannung sich andient als Hort süßer Grübchen,
Die, kurzzeitgesättigt von Nahrungszuschübchen,
Mein Langzeitgedächtnis genussvoll verzücken –
Wohlwissend: Frau Carmen, die kann was verdrücken!
Und zeigt sich auch ihr Biss und Bite
Nur in sichtgedämpfter Sinnlichkeit –
An ihren Lippen zu nippen, bis dass man sich satt schielt,
Lässt lebhaft erahn'n, was sich hinterlipps abspielt ...
Und ich erschließ' mir ihr Wirken im Mundinnenraum
Wie 'nen scheu an die Wirklichkeit klopfenden Traum!

Malmend, zuckend, tief im Mund,
Schluckbereit giert ihr Schlund
Nach Nahrungsmittelabtransport per Gurgeltransaktion – poaw!
Speisebrei mit Speichel-Spei
Beißt sich meist leicht entzwei –
Gilt das auch für Rinderfleisch aus mind'rer Produktion? Oder Pferd?
War da nicht was Angestrengtes in Frau Carmens Minenspiel?
Jeder hier bei Tische denkt es: Dieser Bissen war zu viel ...!

Doch trotz zehrendem Kampf mit zähem Brät
Bewahrt sie Souveränität!
Nur kurz bläht sie die Backentaschen,
Um dann – zack – mit einem raschen
Schluck – Hauruck, als gäb's kein Morgen –
All den Ballast zu entsorgen.

Weh, ungeahnt greift mich ein wohliges Wühlen,
Im selbigen Tun mich ihr näher zu fühlen!
Meiner Rolle des Schau'nden ist's zwar zum Zerwürfnis –
Mal selbst so zu kau'n, ein mich dräng'ndes Bedürfnis!

Und mundwärts fährt die Gabel – ein Rindsrest ihre Kron'!
Der reizt als Gaumengabe zur Muskelkontraktion ...

Dann erschreck' ich jäh – äh,
Ist das alles zäh, bäh! –

Dieser Klumpen Fleisch, den ich in meinem Gaumen dreh' –
Und ich kaue und ich malme, doch ich krieg' den Lurch nicht durch!
In den Speisebrei ich den Speichel spei' –
Selbst mit roher Kraft bring' ich den Rochen nicht entzwei –
Aber alle Zwischenräume meiner Zähne sind gefüllt!

Und Frau Carmen schauet int'ressiert –
Meiner Aufstoßspasmen irritiert –
Denn ein Brechreiz spreizt sich aus in mir,
Und die Tränchen steh'n mir schon bis hier!
Weil sich alles wehrt und dagegen sperrt,
Dass man seine Fleischeslast mit einem Happs verzehrt ...
Und ich beiß' auch nicht mehr drauf –
Nee, nee, ich geb' jetzt auf!

Und ich spuck' diesen körperwarmen Kloß in die Serviette –
Besser so, als ein überhitzter Gang auf die Toilette!
Und fast scheint's, als wenn ich damit die Situation rette –
Doch das Pech, in Verkettung all der Umstände, obsiegt:
Und allem Glück abhold – sowie der Eil' gezollt –
Sich das auf den Tisch gelegte Tuch sogleich entrollt ...

Und der Krötenfötus bös entblößt im Fökus liegt.

Mit Schaudern wird nun angeschaut,
Was von mir wie vorverdaut,
Maulvoran hervorgekotet.
Fasrig in sich selbst verknotet
Wie ein plumper Schleimkokon –
Das Heim des Popelpapillon –
Ein garst'ger Egel, der verreckt
Dargeboten als Konfekt!

Da spür' ich, wie's in Carmen wütet:
Den Mund, der solches ausgebrütet –
Den möchte sie nicht küssen müssen,
Auch nicht in ihrer Nähe wissen!
Und ungelenk empfehl' ich mich,
Und stehl' mich fort, senk' elendig
Mein schauend, kauend, trauernd Haupt –
Das sich doch kurz im Glück geglaubt –
Und lass' als Amuse Bouche zurück:
Ein niemals Schluck geword'nes Stück.

Das mahnt in seiner Fleischlichkeit,
Wie sehr Ihr unvergleichlich seid!
Und dies Euch, oh Carmen, nachzuahmen –
Nicht nur an-, auch abzuschau'n –
Sollten sich die Lebenslahmen
Meiner Prägung nicht getrau'n.

Scheint auch das Kauen
Schöner Frauen
Äußerlich wie Party pur,
Folgt's innerlich 'ner Partitur!
Und nur,
Wer dieser Note für Note entspricht –
Der speist wie Frau Carmen beim jüngsten Gericht.



- fünftes Gedicht/Aufnahme 2013-2014



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