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Frank Klötgen: Der erhobene Finger

Der erhobene Finger aus "Aufgestaut"

Ich ermittle, vermittle citynahe Objekte
Für ein altengerechtes Wohnen -
Sprich: Ich platziere Noch-nicht-von-der-Erde-Bedeckte
In unsere Fußgängerzonen.
Denn denen ist die Ebenerdigkeit
Wie ein Beet im Garten Eden!
Denen blüht die Zweite-Frühlingszeit
In unrentablen Läden,
Deren "Sorry, wir schließen!"-Schild wir gern verschmerzen
Für barrierefrei-glückliche Best-Ager-Herzen!

Doch noch stellt sich gegen den Einzug der Alten:
Die sinnlose Masse der Kleinkrämerläden!
Wo jeder sich fragt: "Wie könn'n die sich da halten!?" -
Die macht Tradition egoistisch und zäh, denn
Ej, was legitimiert hier bei strenger Betrachtung
Die Meisterhandwürste aus eigener Schlachtung?!
"Da werde ich immer mit Namen begrüßt!" -
Und mit Charme wird die arg kleine Auswahl versüßt.
Nur: Der Shop um die Ecke ersetzt dort kein Bett -
Und wozu gibt's eig’ntlich das Internet?!
So sperrt sich stur der Einzelhandel
Gegen der Gemeinschaft Wandel!

Doch nie sammeln sich Wartende vor einem Laden -
Nur vorm Postamt, die Online-Retouren-Nomaden,
Die reihen sich täglich, Paket an Paket,
Als sichtbarer Trend, der auch künftig besteht!
Mir als Kaufmann gebührt es nicht, das zu verdammen -
Ich zähle da nur eins und eins mir zusammen
Und gelange recht schnell an die erste Million!
(Wohl zum ersten Mal, dass diese Läden sich loh'n.)
Statt Buchhändler, Feinkost- und Weinmost-Anbieter
Verdien'n unsre Straßen solventere Mieter!

Noch räkeln sich dort Bussi-Bussi-Boutiquen,
Doch muss man nicht erst deren Kontostand leaken,
Um als Fazit zu ziehen: Das geht sich nicht aus!
Wenn ein Gläubiger anklopft, muss eh alles raus!
Denen hängt schon die Schuldenlast modrig im Nacken -
Von mir kommt das Angebot, schneller zu packen!

Ich mein’, es gibt Dinge, die ich für gemein halt' und schlecht -
Doch dies ist nur ungemein altengerecht!?

Klar, nun schnattert Ihr wieder los: "Das geht zu weit!"
In knüppelharter Einigkeit,
Brüllt "Henker her!" und "Zapperlot!"
Und tapert Richtung Denkverbot.
Da werden im Übermaß Tränen vergossen,
Als hätt ich den vorletzten Panda erschossen!
Da will man scheltend sich ereifern
Und lauthals nach Vergeltung geifern!
Ihr krönt Euch im Empörungskult,
Beschönigt Eure eigne Schuld,
Polliert Heiligenscheine, als hättet hienieden
Ihr selbst nicht schon sehr sehr oft anders entschieden:
Ja, Ihr mögt Kinosaalmuff, findet Live-Musik nett
Doch habt ‘n Spotify-Abo, 'ne Streaming Dienst Flat
Liebt das Krimsikramslädchen, doch habt Amazon-Prime
Und ruft Lieferandos Euch zahlreich ins Heim!
Und bigott blökt die überdosierte Moral:
Ich möcht' gern das iPhone und den Wal!

Ja, Miss Missionierung und Herr Schaftsanspruch
Die heucheln und meucheln und seh'n nicht den Bruch,
Dass ihr Maßregelwerk nicht ihr Tagwerk bestimmt,
Man nur feist und dreist sich ‘ne Rechtfertigung trimmt ...
Ich scheu' nicht den Beef, sondern spreize die Wunden,
Die sie plakativ und mit Weichheit umrunden
Wo ich Kante gebe, zieh'n sie brav den Bogen,
Und hol'n weit aus zur Anklage, Gott, wie verlogen!

Wer mit erhobenen Finger stets auf andere zeigt,
Erprobt sich als Arsch, der bald zum Aufmarsche geigt -
Dann glänzen vom Mut durchgeknetete Waden
Beim Tänzeln auf gut ausgetretenen Pfaden.
Man frömmelt sich zur Wasserpredigt
Und kömmt's, dass wer Wein trinkt, dann wird er erledigt!
Mit dem endgeilen Dolch dieser scheinheilig Frommen
Wird eilig und lustmolchig Anstoß genommen.

Aus hochsündigem Tal erheb nun ich meine Stimme:
Nicht die Tat und die Schuld sind alleine das Schlimme -
Der notorische Pranger, so erleb ich unterm Joch
Ist nun ebenso schäbig, nein, schäbiger noch.
Denn wer mit so viel Trara sein Mantra schreit,
Der tarnt sich nur - weil wirklich weit
Sind nicht viele entfernt von dem hässlichen Schritt -
Und wenn der Mainstream ihn geht - wer marschiert dann nicht mit?!
Trotz erst großem "Boah, nee!"
Ist’s dann plötzlich okay!

Denn wo wer letztlich wirklich steht,
Seh’n wir erst, wenn der Wind sich dreht!





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